‘Made in Germany’ in der Krise: Kann sich der Standort retten?
Die deutsche Wirtschaft befindet sich im Sinkflug. Nachrichten über Insolvenzen, Stellenabbau oder Abwanderung und Produktionsverlagerung ins Ausland beherrschten das Jahr 2024.
Ist es wirklich so schlimm um den Wirtschaftsraum und Industriestandort Deutschland bestellt? In diesem Artikel will ich einen Blick auf die wirtschaftliche Situation der Nation werfen. Legen wir mal die (rosa?) getönte Brille zur Seite!
Worüber sprechen wir in dem Artikel?
- Krise des Wirtschaftsstandorts Deutschland
Produktionsverlagerungen ins Ausland und sinkende ausländische Investitionen bedrohen die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts. Eine DIHK-Umfrage zeigt, dass 40 % der Industrieunternehmen diesen Schritt planen. - Deindustrialisierung und Stellenabbau
Schlüsselbranchen wie die Automobilindustrie verlagern ihre Produktion zunehmend nach Osteuropa, Asien und Indien. Gleichzeitig kündigen deutsche Firmen wie Bosch, Miele und SAP massiven Stellenabbau an. - Infrastruktur und Bürokratie als Wachstumsbremsen
Marode Verkehrs- und Telekommunikationsnetze sowie hohe bürokratische Hürden schrecken Investoren ab und belasten Unternehmen nachhaltig. - Hohe Kosten für Unternehmen
Deutschland rangiert weltweit an der Spitze bei Unternehmenssteuern und Sozialabgaben, was die internationale Wettbewerbsfähigkeit erheblich mindert. - Energiepolitik als Hindernis
Die „Grüne Energiewende“ führt zu hohen Energiepreisen und unsicherer Versorgung, was Produktionsverlagerungen und Investitionsmüdigkeit begünstigt. - „Hidden Champions“ als Hoffnungsträger
Mittelständische Unternehmen, die in ihren Nischen weltweit führend sind, könnten einen Strukturwandel einleiten – vorausgesetzt, die politische Rahmenbedingungen verbessern sich.
Die wirtschaftliche Situation in Deutschland 2024
Produktionsverlagerung: Eine DIHK-Umfrage unter 3300 Unternehmen ergab: vier von zehn Industriebetrieben wollen ihre Produktion am Standort Deutschland einschränken oder komplett ins Ausland verlagern. Bei Industrieunternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten sind es sogar über die Hälfte.
Gleichzeitig werden ausländische Investitionsprojekte in Deutschland zurückgefahren. Unternehmen aus dem Ausland planten 2023 rund 730 Investitionsprojekte hierzulande, der niedrigste Stand seit 11 Jahren und der sechste Rückgang in Folge.
Das Institut der Deutschen Wirtschaft legt in seinem IW-Kurzbericht 43/2023 (Titel “Deindustrialisierung - eine Analyse auf der Basis von Direktinvestitionen”) konkrete Zahlen vor:

Nettokapitalabflüsse 2013-2022: in den 10 Jahren haben rund 636,25 Mrd. US$ “das Land verlassen”; Qu.: OECD/Deutsche Bundesbank
- Automobilindustrie: Die Automobilindustrie, einst deutsche Vorzeige-Industrie, ist ein Paradebeispiel für die Verlagerung nach Osteuropa, China oder Indien. Volkswagen, BMW oder Daimler und deutsche Zulieferer wie Bosch, Continental und ZF sind dort bereits in großem Umfang aktiv.
- Stellenabbau: Autozulieferer Bosch sieht einen “Anpassungsbedarf” von weltweit 5.550 Stellen. Davon sollen in Deutschland insgesamt 3.800 wegfallen. Miele plant, seine Waschmaschinenproduktion komplett nach Polen zu verlagern und bis 2028 1300 Stellen in Deutschland abzubauen. SAP kündigt den Abbau von rund 2.600 Stellen in Deutschland an. Auch Tesla will im Werk Grünheide 400 Arbeitsplätze streichen.
- Insolvenzen: Auch wenn Wirtschaftsminister Habeck anderer Meinung ist: laut Creditreform mussten allein im 1. Halbjahr 2024 11.000 Unternehmen den Weg zum Konkursverwalter antreten. Im weiteren Verlauf 2024 stieg die Zahl der Insolvenzen auf 22.400 Fälle an. Das ist der höchste Wert seit 2015.
Die (nicht nur) wirtschaftlichen Probleme Deutschlands
Das deutsche “Geschäftsmodell”:
Deutschland hatte in der Vergangenheit ein sehr gut funktionierendes “Geschäftsmodell”: Wir importierten Rohstoffe (an denen wir arm sind), verarbeiteten diese in energieintensiven Produktionsabläufen und exportierten hochwertigste Güter (“Made in Germany”).
Mittlerweile haben wir ein neues Geschäftsmodell entwickelt: Wir importieren zwar immer noch, hauptsächlich jedoch Energie. Und wir exportieren auch: ganze Wirtschaftszweige, Arbeitsplätze und Kapital.
Wo liegen unsere Probleme?
Die Infrastruktur liegt im Argen
Nicht erst der Einsturz der Elbbrücke in Dresden hat vielen klar gemacht, dass unser Straßen- und Brückennetz ein dringendes “Update” braucht. In ähnlich desolaten Zustand ist das Schienennetz der Deutschen Bahn AG - von Pünktlichkeit, Komfort und Zuverlässigkeit dieses “Dienstleisters” ganz zu schweigen.
Auch der innerdeutsche Flugverkehr kann sicherlich “keinen Blumentopf gewinnen”. (Wobei es an sich fraglich ist, ob man in dringenden Fällen von Hamburg nach Berlin wirklich per Flugzeug reisen muss. Allerdings sind die Alternativen Schiene und Straße … siehe voriger Absatz).
Und schließlich sorgt auch das Telekommunikationsnetz manchmal für Erheiterung, sehr viel öfter aber für Kopfschütteln.
Bürokratie in Deutschland - ein Kapitel für sich
Was Bürokratie, Verordnungen, Vorschriften und Regularien anbelangt, ist Deutschland weltweit auf den vordersten Plätzen zu finden. Ergänzt wird das dann noch durch weitere Eingriffe und Einschränkungen aus Brüssel, denen wir uns widerspruchslos fügen.
In der Studie „Deutscher Mittelstand im Regulierungskorsett“ (Link am Ende des Artikels) untersucht das Unternehmen ‘Proalpha Group’ die Auswirkungen bestehender und kommender Regularien auf den Mittelstand.
Es wird in dem Papier klargestellt, dass diese bürokratischen Hürden ein starkes Argument gegen Investitionen und Neuansiedlungen von Handel und Gewerbe in Deutschland darstellen.
Weltspitze bei der Unternehmensbesteuerung …
Ganz vorne zu finden ist Deutschland bei der Unternehmensbesteuerung. Die folgende Grafik ist dem Monatsbericht des Bundesministeriums f. Finanzen August 2024 entnommen:
… und bei Löhnen und Lohnnebenkosten (Sozialabgaben)
Aus derselben Quelle stammt die folgende Grafik. Sie zeigt die Belastung der Unternehmen und Beschäftigten in Bezug auf die Sozialabgaben im internationalen Vergleich:

Belastung durch Steuer und Sozialabgaben im internationalen Vergleich; Quelle: BMF Monatsbericht August 2024
“Dunkelflaute” — die Energiepolitik in Deutschland
Energie ist der Schlüssel zu Wohlstand und Wachstum. Seit den Zeiten der industriellen Revolution korreliert jede Form wirtschaftlichen Fortschritts mit einer effizienteren Nutzung von Energie.
Deutschland handelt jedoch seit einiger Zeit energiepolitisch kontraproduktiv.
Es fehlt an langfristigen Strategien für eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Energieversorgung. Nach der Abschaltung der Kernkraftwerke und dem Wegfall kostengünstiger Beschaffungsmöglichkeiten für Öl- und Gas explodieren die Energiekosten. Darüber hinaus ist die Versorgungssicherheit in keiner Weise gewährleistet, egal, was unsere politische Führung dazu verlautbart.

Dunkelflaute in Deutschland; Ausschnitte: Blackout News, Lausitzer Rundschau, Deutsche Wirtschaftsnachrichten
Die hohen Energiepreise, die Abhängigkeit von Importen und die fehlende Versorgungssicherheit belasten die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zusätzlich - und zwar erheblich.
Vor dem Hintergrund der Problematik dieser “Grünen Energiewende” erscheint das Ziel, gänzlich auf Verbrennungsmotoren zu verzichten und eine komplette Umstellung auf Elektromobilität durchzuziehen wie ein sehr schlechter Witz: wo bitteschön sollen die E-Vehikel dann geladen werden?
Demografische Herausforderungen und Bildungskrise
Deutschland steht aber nicht nur vor wirtschaftlichen, sondern auch vor demografischen Problemen.
Die alternde Bevölkerung und die sinkende Geburtenrate gefährden langfristig die Stabilität des Sozialstaats. Hinzu kommt - PISA-Studien haben es gezeigt - ein deutlicher Rückgang des Bildungsniveaus. Innerhalb Europas rangiert Deutschland mittlerweile nur noch vor Rumänien.
Diese Entwicklung ist alarmierend! Bildung und Fachkräfte sind entscheidend für die Innovationskraft und Produktivität eines Landes. Ohne qualifizierte Arbeitskräfte wird es schwer, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Hoch qualifizierter Nachwuchs wandert ab, und was von den “Fachkräften” zu erwarten ist, die stattdessen seit einiger Zeit ins Land kommen, möchte ich hier nicht weiter ausführen.
Wie sieht Deutschland selbst seine Zukunft?
Um diese Frage zu beantworten, schauen wir und einige Ergebnisse der jüngsten Umfragen des ifo-Instituts vom Dezember 2024 an.
Die erste Grafik zeigt die Konjunkturerwartungen über alle Sektoren hinweg bewertet: Verarbeitendes Gewerbe, Dienstleistungen, Bauhauptgewerbe, Groß- und Einzelhandel. Dabei werden ca. 9000 Unternehmen monatlich gebeten, ihre gegenwärtige Geschäftslage zu beurteilen und ihre Erwartungen für die nächsten sechs Monate mitzuteilen.
Sie können ihre Lage mit “gut”, “befriedigend” oder “schlecht” und ihre Ge-schäftserwartungen für die nächsten sechs Monate als “günstiger”, “gleich bleibend” oder “ungünstiger” kennzeichnen. Die Antworten werden gewichtet und auf einen Index von 100 im Jahr 2015 bezogen.
Für die nächsten Grafiken habe ich nur das verarbeitende Gewerbe gewählt. Den kompletten Bericht kann man hier herunterladen: https://www.ifo.de/publikationen/2024/zeitschrift-einzelheft/ifo-konjunkturperspektiven-122024
Die Grafiken zeigen die Beurteilung der geschäftlichen Lage, der Exporterwartungen und der Beurteilung der Auftragslage.
Der Saldowert der gegenwärtigen Geschäftslage ist die Differenz der Prozentanteile der Antworten “gut” und “schlecht”, der Saldowert der Erwartungen ist die Differenz der Prozentanteile der Antworten “günstiger” und “ungünstiger”. Das Geschäftsklima ist ein Mittelwert aus den Salden der Geschäftslage und der Erwartungen.
Wie in der obigen Grafik fällt eine Verschlechterung der Konjunkturbeurteilung seit etwa 2022 auf. Besonders auffällig erscheint die extrem schlechte Beurteilung der Auftragslage. (Nach dem tiefen Einbruch im “Corona”-Jahr herrschte erst mal eine “Jetzt-geht-es-wieder-aufwärts”-Stimmung.)
Was braucht Deutschland, um wieder Wettbewerbsfähig zu werden?
Die Deutsche Bundesbank veröffentlichte in ihrem Monatsbericht vom Mai 2024 das Ergebnis einer Erhebung, die die wesentlichen Faktoren für die Investitionsmüdigkeit ausländischer Unternehmen zusammenfasst:
Neben diversen Kostenfaktoren (Energiekosten, Löhne, Abgaben, Steuern, ausbleibende Förderungen) werden auch Infrastruktur, Bürokratie und der regulatorische Rahmen genannt.
Ganz oben findet sich allerdings das “schlechte makroökonomische Umfeld”, mit anderen Worten: Wirtschafts-, Fiskal- und Geldpolitik, Außenwirtschaft, aber auch technologische Trends und Aussichten.
Betrachtet man diese Faktoren, so ergibt sich die Antwort auf die Frage in der Überschrift von selbst …
Die Herausforderungen, vor denen das Land steht, sind enorm: von der Energie- und Infrastrukturkrise über demografische und technologische Defizite bis hin zur Bildungskrise.
Deutschland braucht einen grundlegenden Strukturwandel!
“Hidden Champions” - Treiber des Strukturwandels
“Hidden Champions” sind mittelständische Unternehmen, die trotz ihrer globalen Bedeutung weitgehend im Verborgenen agieren. Sie zeichnen sich durch eine einzigartige Unternehmensphilosophie aus:
Es sind hochspezialisierte Nischenanbieter, die in ihren jeweiligen Marktsegmenten zu den Top-3-Unternehmen weltweit gehören. Sie sind meist familiengeführt, stark international ausgerichtet und mit einem klaren Fokus auf nachhaltige Entwicklung und kontinuierliche Innovation.
Die Jahresumsätze liegen irgendwo zwischen 50 Millionen und 3 Milliarden Euro. Ihre Stärke liegt in der Spezialisierung auf technologische Lösungen für hochkomplexe Herausforderungen.
Weltweit gibt es etwa 4.000 Unternehmen, die in die Kategorie Hidden Champions eingeordnet werden können. Davon haben rund 1.600 ihren Sitz in Deutschland, die meistens im ländlichen Raum angesiedelt sind.

“Hidden Champions” - die heimlichen Weltmarktführer; Info-Grafik: IWD - Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft, https://www.iwd.de/
Sie könnten das Fundament für einen neuen Aufschwung bilden, sofern die richtigen politischen Weichenstellungen erfolgen. Wir sollten aufhören, diesen Unternehmen durch noch mehr Regulierung, Steuer- und Abgabenlast, gesetzlichen Hürden und vermeidbaren ideologischen Kostenfaktoren die Luft zu nehmen und dazu zu animieren, “die Sache hinzuschmeißen”.
Lasst uns auf ein wirkliches Umdenken hoffen, nicht nur auf Kosmetik, schöne Worte und Absichtserklärungen! Dieses Land hätte es verdient!
Im 2. Teil des Artikels werfe ich eine Blick auf die Weltwirtschaft und Deutschlands Position am Weltmarkt:
Lies den Beitrag ‘Made in Germany’ (2. Teil) — Deutschland und die Weltwirtschaft hier:
https://insider-week.com/de/articles/made-in-germany-2/
Quellen und Links
Publikationen der Bundesbank - Monatsbericht Dez. 2024
ifo Konjunkturperspektiven 12/2024
ProAlpha Studie: Regulierungs-Overkill: Über die Hälfte der deutschen Mittelständler plant Produktionsverlagerung ins Ausland
gesamte Studie hier: Deutscher Mittelstand im Regulierungskorsett
Hidden Champions: IWD - Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft
Zum Verfasser: Karl-Heinz (“Charlie”) schreibt Beiträge und Artikel zum Thema Börse, Trading, Rohstoffe und Futures sowie allgemeine Blog-Artikel zu Fragen von Wirtschaft und Finanzen. Nach rund 20 Jahren in der IT wurde er von Max Schulz mit dem Börsenvirus infiziert und war einer der ersten Coaching-Teilnehmer bei InsiderWeek. Heute lebt er irgendwo zwischen Antalya, Kaliningrad, Kärnten und dem Schwarzen Meer, aber manchmal auch im fränkischen Fichtelgebirge.
Neugierig, mehr zu erfahren?
Hole dir das Buch von Max Schulz und lade es dir noch heute kostenlos herunter!